#13 - Für Hanna Sophie
Vor zwei Tagen bin ich mit dem Auto von Hamburg nach Prag gefahren. Auf langen Autofahrten hat man Zeit, sich Gedanken zu machen. Vor allem, wenn das Ende eines Jahres zum Greifen nahe ist. Also habe ich das Jahr gedanklich Revue passieren lassen. Es war ein gutes Jahr. Bis gestern Donnerstag, 17. Dezember 2015, 11 Uhr 09.
Ich habe auf der Autofahrt über Vorsätze nachgedacht. Welche ich mir für das kommende, für das neue Jahr machen könnte. Wobei meine Vorsätze eigentlich eine stetig wachsende To-Do-List banaler Dinge sind. Mehr davon, weniger von dem. Aber eigentlich wird diese Liste von Jahr zu Jahr länger, weil einen das Leben einholt und man dann doch keine Zeit dafür hat. Und wenn einem dann bewußt wird, dass da tatsächlich keine Zeit mehr sein wird, nie wieder, nicht in diesem Leben, dann ist diese Erkenntnis hart. Und man frägt sich, war es wert, vieles von dem, was man gemacht hat, nach vor zu reihen und manches einfach immer wieder zu verschieben. An diesem Punkt bin ich gerade. Und ich bin traurig.
Ich habe gestern um 11 Uhr 09 erfahren, dass meine Nichte verunglückt ist. Meine Nichte ist das dreijährige Mädchen aus den Medien. Wenn man in den Medien über Schicksalsschläge fremder Menschen liest, so nimmt einen dies mit. Man ist aber dankbar, dass man selbst nicht betroffen ist. Ich dachte immer, meine Familie und mein Umfeld, wir sind sicher. Imun. Nie ist etwas passiert. Wir sind alle immer sicher wieder nach Hause gekommen. Ich konnte mir nie vorstellen, wie sich dieser Schmerz anfühlt. Jetzt kenne ich ihn. Fühle ihn. Mit jeder Faser. Und er stellt bisher alles Gefühlte in den Schatten.
Als ich von ihrer Geburt erfahren habe, war ich in Varanasi, Indien. Zu Tränen gerührt. Glücklich. Sechs Wochen später lag Hanna Sophie das erste Mal auf meiner Brust. Es war ein unbeschreibliches Gefühl, dieses kleine Lebewesen zu spüren. Wie sie einatmete, ausatmete. Wie sie zufrieden schlummerte. Nicht mehr brauchte als Zuneigung, Wärme und Liebe. Ich hatte mir damals vorgenommen, meiner Rolle als Tante nachzukommen. Sie regelmässig zu besuchen. Ich habe das nicht geschafft. Weil ich Projekten Prioritäten gegeben habe. Nicht aber den Menschen, die mich umgeben. Die meine Familie sind. Und, nicht meiner Nichte.
Mein Bruder hat mich gebeten, die Fürbitten für Hanna Sophie zu schreiben. Ich habe das gemacht. Aber was schreibt man, wenn einem nicht nur der Boden unter den Füßen sondern auch die Worte an sich fehlen? Wenn man bereits ein sehr bescheidenes Verhältnis zu Gott hat? Wenn man gerne glauben würde, es aber einem schwer fällt, in einer Situation wie eben dieser nun. Ich habe meinen Zugang ausgeblendet. Denn da gibt es zwei Familien und Wegbegleiter, die jetzt Trost benötigen. Und es gibt Hanna Sophie. Also habe ich jede mit ‚Lieber Gott’ begonnen. Es wird uns trotzdem nicht näher bringen. Ihn und mich.
Ich wünschte, ich könnte ein Stück des Weges zurückgehen. An der Uhr drehen und verlorene Zeit mit meiner Nichte in gemeinsame Abenteuer verwandeln. In glückliche Momente. Das wäre aus tiefsten Herzen mein größter Weihnachtswunsch.
Meine Fürbitten für meine Nichte Hanna Sophie:
Lieber Gott, wir haben einen Stern verloren. Bitte nimm unsere Hanna Sophie auf, pass auf sie auf und lass sie am Himmel für uns immer hell leuchten. Damit wir sie sehen, wenn wir den Blick nach oben richten.
Lieber Gott, wir bitten Dich, schenke uns Kraft, dass wir diesen traurigen Verlust verkraften werden, wieder Freude und Sinn finden.
Lieber Gott, wir danken Dir für die 1081 Tage, die wir Hanna Sophie in unserer Mitte haben durften. Bitte nimm sie als Engel auf und beschütze sie für uns.
Lieber Gott, wir bitten Dich, erlöse uns von unserem Schmerz und schenke uns Hanna Sophie als Schutzengel, der über uns wacht und auf alle, die ihren kurzen Weg auf dieser Erde mit ihr gehen durften, aufpasst.